Paukenschlag: Seevetals Grüne fordern Rücktritt in eigenen Reihen

Symbolbild
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Seevetal. Die Seevetaler Grünen setzen ein weiteres deutliches Zeichen gegen den Bau einer Neubautrasse der Deutschen Bahn durch den Landkreis Harburg. In einem offenen Brief an den bahnpolitischen Sprecher der Grünen im Bundestag, Matthias Gastel, wird die Niederlegung seiner Mandate als Grüner Abgeordneter gefordert. 

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„In seiner Doppelfunktion als Grüner Abgeordneter und Mitglied des Aufsichtsrates der DB Netz AG missachtet er zunehmend die urgrünen Ziele wie z.B. Umwelt- und Naturschutz, Schutz der Lebensgrundlagen, Klimaschutz — und treibt einseitig den Bau einer Neubautrasse durch den Landkreis Harburg voran, nur um den Deutschlandtakt ab 2045 umzusetzen — was ein grober Verstoß unter anderem gegen das Klimaschutzgesetz bedeuten würde. Damit schadet er der Glaubwürdigkeit der Grünen”, heißt es in einer Pressemitteilung der Seevetaler Grünen.

Mit überwältigender Mehrheit (eine Gegenstimme, keine Enthaltung) wurde der offene Brief jetzt an Matthias Gastel auf der Ortsmitgliederversammlung der Seevetaler Grünen unterstützt. (tj /ein)

Hier der offener Brief:

Lieber Matthias,

hiermit fordern wir dich auf, deine Mandate als Grüner Abgeordneter im Bundestag niederzulegen oder ruhen zu lassen und dich allein auf die Aufgabe im Aufsichtsrat der DB Netz AG zu konzentrieren, um deinen eigenen Ruf zu schützen und Schaden von unserer Partei abzuhalten. Lieber Matthias, du hast dich seit Jahren intensivst in die Aufgabe hineingesteigert, die Bahn wieder attraktiver zu gestalten. Das finden wir grundsätzlich absolut begrüßenswert. Einige nennen dich „Bahn- Freak“, andere „Bahn-Nerd“. Alle Maßnahmen zur Sanierung und Modernisierung bestehender Strecken, Wiederinbetriebnahme einiger stillgelegter Strecken, Umsetzung von Alpha E, verbesserte Anbindungen und verstärkte Lärmschutzmaßnahmen unterstützen wir. Damit kann noch vor 2030 sehr viel erreicht werden: Vor allem zuverlässige Zugverbindungen und höhere Kapazitäten. Über die anfänglichen pauschalen Ziele „mehr Personen- und Güterverkehr von der Straße und aus der Luft auf die Schiene“ verfolgst du inzwischen die Ziele „Schienengüterverkehr bis 2030 um 25% steigern und den Personenverkehr verdoppeln“. Daraus folgt für dich zwingend die Umsetzung des Deutschlandtaktes und das wiederum siehst du nur, wenn Neubaustrecken realisiert werden. Du bist ein vehementer Verfechter des Deutschlandtaktes. Alles andere rückt für dich in den Hintergrund, Einwände aus Sicht des Natur- und Klimaschutzes oder sozial-ökologische Fragen wischst du mit leichter Hand vom Tisch. Du sagst, nur Varianten, die einen NKV größer 1 aufweisen, kommen in Frage, alles andere wird nicht verfolgt. Lässt aber im Unklaren, was alles und in welchem Umfang in diese Berechnungen eingeht. Offenbar sind gerade die Umweltbeschädigungen nicht oder nur oberflächlich hier eingegangen, denn z.B. auf die Fragen zu den Dimensionen der Bahndämme, Brücken und Baustellen nebst Straßen oder Erdbewegungen konntet ihr keine Antwort geben – es fehlen dazu offenbar Planungsgrundlagen. Behauptest aber schonmal vorweg, dass nur eine Neubaustrecke (nicht der Ausbau der Bestandsstrecke) – voraussichtlich die Seevetal-Heide-Trasse – die Bedingung erfüllen wird. Als realisitisch siehst du eine Fertigstellung einer NBS bis 2045 an.

Und spätestens jetzt kommt es zum Interessenkonflikt. Denn es fehlt vollkommen eine ganzheitliche Sicht. Du dokumentierst mit jeder Antwort – mir liegt auch der Schriftwechsel z.B. mit dem NABU vor – dass du sehr eingleisig einzig und allein an der Fortentwicklung der Bahn interessiert bist, dafür eine Vision realisieren willst, ohne nach links oder rechts oder nach vorn zu sehen. Und damit richtet sich dein Tun gegen die Grundsätze der Grünen Politik, wie sie zuletzt im Grundsatzprogramm 2020 ausführlich beschlossen wurden, insbes. Ökologie; Klima und Energie; Umwelt, Naturschutz und Landwirtschaft.

Wir brauchen klimafreundliche Veränderungen jetzt, nicht erst in 20 Jahren oder später. Dein erklärtes Ziel, bis 2045 deutschlandtaktfähige Neubaustrecken zu bauen, bedeutet: Wir gehen eine enorm hohe Schuld durch erhebliche Naturzerstörungen und Lebensraumbeeinträchtigungen, Versiegelungen, C02- Freisetzungen, andere Schadstoff-Freisetzungen (insbes. Dieselbetrieb), Erdbewegungen, Stahl- und Betonproduktionen usw. ein, bevor der erste Zug gefahren ist. Dieses enorm hohe Defizit wird nie wieder durch Einsatz der Bahn kompensiert werden, wir hinterlassen der Nachwelt eine schwer geschädigte Umwelt und eine riesengroße Menge CO2 in der Atmosphäre. Es kann dann ab 2045 gar nicht mehr kompensiert werden, weil auch der übrige Verkehr auf der Straße und in der Luft (zumindest Inlandflüge betreffend) weitgehend emissionsfrei sein wird. Der Schienenverkehr bietet da kaum noch Vorteile, wenn überhaupt. Ein großer Nutzen-Kosten-Faktor wäre ein Taschenspielertrick!

Damit entfällt die Hauptmotivation für dein Projekt, das bei so später Realisierung nur noch eines ist: Ein schwerer Verstoß gegen das Klimaschutzgesetz! Lieber Matthias, du hast es geschafft, Naturschutzverbände, Bürgerinitiativen und regionale Parteiverbände gegen dich und die Grünen aufzubringen. Es wird gefragt: Was ist aus den Grünen geworden, die ihre eigenen urgrünen Ziele verraten? Das rüttelt so sehr an der Glaubwürdigkeit unserer Partei – genauso wie der Umstand, dass du uns bei unserem Treffen in Lüneburg verschwiegen hast, dass du im Aufsichtsrat der DB Netz AG bist; und wie der Umstand, dass es auch sieben Wochen nach unserem Treffen weder Berechnungsergebnisse noch Berechnungsgrundlagen gibt (wobei immer wieder Teilergebnisse durchgesteckt werden!?), was vermuten lässt, dass da noch einige Nachberechnungen „erforderlich“ sind… Deshalb: Belass es bei der Arbeit im Aufsichtsrat und halte mit einem Rückzug von Grünen-Mandaten Schaden von dir, von uns und der Partei fern! …Die Umwelt zu schützen und zu erhalten, ist Voraussetzung für ein Leben in Würde und Freiheit… …Das Wissen um die planetaren Grenzen ist Leitlinie unserer Politik… …Wir haben nur diese eine Erde, in ihrer Schönheit und natürlichen Vielfalt… …Eine intakte Umwelt ist Voraussetzung für Gesundheit… …Wir haben die Erde von unseren Kindern nur geborgt… …Die Klimakrise und Zerstörung unserer Lebensgrundlagen verschärft bestehende Ungleichheiten… (Auszüge aus dem Grundsatzprogramm Bündnis 90 / Die Grünen 2020)

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